Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät I, Institut für Geschichtswissenschaften
Prof. K. Canis
Proseminar „Die Europäischen Revolutionen 1848/49“
Wintersemester 1996/97
 

 

„Österreich verweigert König Karl Albert einen Waffenstillstand“


Inhaltsverzeichnis


0. Einleitung

1. Quellenkritik
1.1 äußere Quellenkritik
1.2 innere Quellenkritik
1.2.1 Begriffe
1.2.2 Personen
1.2.2.1 Generalmajor Felix Fürst zu Schwarzenberg
1.2.2.2 Feldmarschall Joseph Wenzel Graf Radetzky von Radetz
1.2.2.3 König Karl Albert von Sardinien-Piemont
1.2.3 der historische Hintergrund

2. Interpretation
2.1 Die Bedeutung der italienischen Besitzungen für das Habsburgerreich
2.2 Die Rolle Karl Alberts von Sardinien für den italienischen Einigungskampf
2.3 Die Rolle der europäischen Mächte
2.4 Erkenntniswert der Quelle

3. Literatur- und Quellenverzeichnis

Anhang: „Österreich verweigert König Karl Albert einen Waffenstillstand“
 

0. Einleitung


Im folgenden werde ich die Quelle „Österreich verweigert König Karl Albert einen Waffenstillstand“ analysieren sowie sie und die historischen Umstände kritisch beleuchten. Zu diesem Zwecke werde ich zunächst die Quelle förmlich analysieren, dann wichtige Personalien klären und zuletzt auf den Inhalt der Quelle eingehen.
 

1. Quellenkritik


1.1 äußere Quellenkritik

Die vorliegende Quelle „Österreich verweigert König Karl Albert einen Waffenstillstand“ ist Teil einer Rede, die der Generalmajor Felix Fürst zu Schwarzenberg (späterer Ministerpräsident) am 24. Juni 1848 vor dem österreichischen Ministerrat hielt. Die Quelle stammt aus dem Buch „Fürst Felix zu Schwarzenberg: Der politische Lehrmeister Kaiser Franz Josephs“ von Rudolf Kiszling (S. 36) und wird dort aus dem Protokoll der Ministerratssitzung vom 24. Juni 1848 zitiert, das im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien aufbewahrt wird.

1.2 innere Quellenkritik

1.2.1 Begriffe

Ministerrat - Der Ministerrat war die Regierung Österreichs und bestand aus Ministern, die der Kaiser ernannte. Im Juni 1848 waren die bedeutendsten Minister Erzherzog Johann als Stellvertreter des Kaisers, Baron Wessenberg als Außenminister sowie Kriegsminister Latour.

1.2.2 Personen

1.2.2.1 Generalmajor Felix Fürst zu Schwarzenberg

Felix Fürst zu Schwarzenberg  wurde am 2. Oktober 1800 als zweiter Sohn der alten österreichischen Adelsfamilie zu Schwarzenberg in Krumau/Böhmen geboren. Er trat dem Militär bei und wurde 1824 auf Anregung Metternichs Diplomat. Schwarzenberg machte eine „diplomatische Dutzendkarriere“,  die ihn bis zum Jahre 1838 in die Hauptstädte der bedeutenden europäischen Großmächte führte (St. Petersburg, London, Paris, Berlin) und bis 1848 als selbständiger Gesandter nach Turin und Neapel, wo er auch die Anfänge der Revolution miterlebte. Am 12. April 1848 stellte er sich wieder der Armee zur Verfügung und kämpfte unter Radetzky gegen Sardinien, mehrfach ausgezeichnet. Verwundet als Emissär eingesetzt, traf er wenige Tage nach dem Sieg bei Custozza wieder im österreichischen Heer ein und wurde Gouverneur von Mailand, allerdings nur für kurze Zeit. Am 21. November 1848 wurde er österreichischer Ministerpräsident und damit Nachfolger Metternichs, der im Zuge der Wiener Revolution am 13. März 1848 zurücktreten mußte. Schwarzenberg setzte die Abdankung des „grundgütigen, aber auch geistesschwachen“  Kaisers Ferdinand I. zugunsten dessen Neffen Franz Joseph durch und führte nach der Niederschlagung der Revolution ein streng zentralistisches, autoritäres Regiment, auch als „Neoabsolutismus“ bekannt. Im Zuge seiner Regierung zeichnet Schwarzenberg auch für die brutale Behandlung der im Revolutionskrieg unterlegenen Ungarn verantwortlich. Seinen Plan vom 70-Millionen-Reich Mitteleuropa, den er den groß- und kleindeutschen Einigungsforderungen entgegenstellte, konnte er nicht mehr verwirklichen. Er starb nach nur dreijähriger Amtszeit am 5. April 1852 an den Folgen eines Gehirnschlages.

1.2.2.2 Feldmarschall Joseph Wenzel Graf Radetzky von Radetz

Radetzky wurde am 2. November 1766 in Trebnitz/Böhmen geboren und schlug bald eine Militärlaufbahn ein, wie es in seiner Familie Tradition war. In den Türkenkriegen 1787-92 und den Koalitionskriegen gegen die neue Französische Republik zeichnete er sich aus und stieg die militärische Karriereleiter empor. Als Stabschef des Fürsten zu Schwarzenberg (des Vaters Felix’) entwarf er im Krieg gegen Napoleon I. 1813 den Feldzugsplan und hatte maßgeblichen Anteil am Sieg in der Völkerschlacht bei Leipzig. Ab 1831 war Radetzky in Lombardo-Venetien stationiert und erwarb sich dort mit Heeresreformen und neuen Ausbildungsmethoden einen europaweiten Ruf. Während der Revolution 1848 mußte er sich aus Mailand zurückziehen, erreichte dann aber mit glänzenden Siegen bei Custozza (1848) und Novara (1849) die Sicherung der österreichischen Herrschaft in Norditalien und die Stabilisierung der Donaumonarchie nach Innen. Bis zu seinem Tod am 5. Januar 1858 war er Gouverneur von Lombardo-Venetien. Ihm zu Ehren komponierte Johann Strauß (Vater) 1848 den Radetzky-Marsch.

1.2.2.3 König Karl Albert von Sardinien-Piemont

Karl Albert wurde am 2. Oktober 1798 in Turin geboren und regierte seit 1821 in Piemont, seit 1831 als König. Während seiner Regentschaft folgte er liberalen Tendenzen, war in seiner Jugend sogar Mitglied von Geheimgesellschaften. Nach seiner Thronbesteigung verfolgte er jedoch vorerst eine reaktionäre Innenpolitik und lehnte sich außenpolitisch an Österreich an, in den 40er Jahren änderte er aber wieder seine Politik zugunsten des Liberalismus. 1848 verkündete er eine Verfassung und rief zum „Guerra Santa“ gegen Österreich auf. Nach der Niederlage bei Novara im April 1849 dankte er zugunsten seines als konservativer geltenden Sohnes Viktor Emanuel ab und starb noch im gleichen Jahr im portugiesischen Exil (28. Juli 1849, Porto).

1.2.3 der historische Hintergrund

Unter dem Einfluß der revolutionären Ereignisse in Paris begann die österreichische Revolution in Wien am 13. März 1848. Die Bevölkerung demonstrierte und verlangte u.a. Pressefreiheit, Errichtung einer Nationalgarde und Verabschiedung einer Verfassung sowie den Rücktritt Metternichs, der seit dem Wiener Kongreß 1815 an der Spitze der Donaumonarchie stand und das Symbol des monarchistischen Systems war. Kaiser Ferdinand I. mußte auf die Forderungen eingehen.
Nach dem Rücktritt Metternichs brachen auch in Italien, wo es schon lange gärte, alle Dämme, und Venetien und die Lombardei, die beiden oberitalienischen österreichischen Provinzen, erhoben sich gegen die Wiener Zentralgewalt. Der österreichische Statthalter, der 82 Jahre alte Feldmarschall Joseph Wenzel Graf Radetzky von Radetz, mußte nach fünftägigem Straßenkampf Mailand räumen und sich zurückziehen. Ähnlich erfolgreich verlief der Aufstand auch in Venedig; in Mailand und Venedig wurden provisorische Regierungen gebildet.
Auch in anderen italienischen Fürstentümern kam es zu Aufständen und Revolutionen, Rufe nach einem vereinigten Königreich Italien wurden laut. An die Spitze der nationalen Bewegung setzte sich nun der König von Sardinien-Piemont, Karl Albert, und erklärte Österreich am 24. März den Krieg. Freiwilligenverbände aus ganz Italien vergrößerten sein Heer, so daß Anfang April ein gesamtitalienisches Heer zum Kampf gegen Österreich bereitstand.
Doch in der Folgezeit begann sich in Italien das Blatt schon zugunsten der Gegenrevolution zu wenden: stark differierende Ansichten bezüglich Kriegführung und Kriegszielen schwächten die Führung des italienischen Heeres. König Karl Albert von Sardinien-Piemont verfolgte eher dynastische Ziele der Ausdehnung seines Machtbereiches als nationale Ziele der Einigung Italiens und fürchtete einen radikalen Fortgang der Revolution (das Dilemma, daß der „Revolutionskrieg durch einen Mann geführt wurde, der die Revolution und die Revolutionäre fürchtete“ ). Zusätzlich zur Uneinigkeit in den eigenen Reihen wurde das Heer noch durch die erstarkende Gegenrevolution in Neapel und im Kirchenstaat geschwächt, die ihre Truppen zurückriefen. So zögerte Karl Albert mit einem Angriff auf Radetzky (daher sein Beiname „Re Tentenua“, „der Zögerer“ ), und dieser konnte langsam seine Armee verstärken und nach und nach Land zurückgewinnen (Rückgewinnung eines Großteiles von Venetien durch den Sieg bei Vicenza am 11. Juni 1848).
In Österreich hingegen war der Ausgang der Revolution noch nicht entschieden. Im Mai 1848 kam es in Wien zu weiteren Unruhen, im Zuge derer der Kaiser am 15. Mai aus Wien nach Innsbruck flüchtete und es erstmals zu Barrikadenerrichtungen in den Straßen kam. Die Ursache war eine von der Regierung verabschiedete Wahlordnung, die die unteren Schichten von der Teilnahme an der Wahl ausschloß. Als die Verordnung zurückgenommen wurde, entspannte sich die Lage sofort, doch es blieb ein Machtvakuum und ein „Ausschuß der Bürger, Nationalgarde und Studenten zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit und für Wahrung der Volksrechte“ übernahm bis zum Juli 1848 die Kontrolle in Wien.
 

2. Interpretation


Fürst Felix zu Schwarzenberg hält die in Teilen vorliegende Rede vor dem österreichischen Ministerrat, um diesen von der Notwendigkeit einer Fortführung des Krieges in Oberitalien gegen König Karl Albert von Sardinien-Piemont zu überzeugen.

2.1 Die Bedeutung der italienischen Besitzungen für das Habsburgerreich

Schon seit Jahrhunderten war Italien in Kleinstaaten geteilt und Frankreich und Österreich stritten um Einfluß und Macht auf der Apenninhalbinsel. Nach der Niederlage Napoleons konnte Österreich Italiens weitgehend unter seinen Einfluß bringen, im Wiener Kongreß wurde Lombardo-Venetien Österreich zugeschlagen, Parma, Modena sowie die Toskana wurden habsburgische Sekundogenituren. Sardinien-Piemont versuchte seine Unabhängigkeit zu behaupten und aus der Rivalität Frankreichs und Österreichs Vorteile zu ziehen,  doch auch hier kam es 1821 zu einer österreichischen Intervention, nachdem Aufstände ausgebrochen waren. 1831 begann Frankreich in Italien wieder Einfluß zu nehmen und beteiligte sich an der Unterwerfung antipäpstlicher Aufstände in Mittelitalien.
Die Rückeroberung Lombardo-Venetiens war also in erster Linie eine Frage nach der zukünftigen Stellung Österreichs in Italien. Wollte Österreich seinen Einfluß nicht an Frankreich oder Sardinien abgeben, mußte es seine Besitzungen behaupten.  In diesem Zusammenhang gab es auch eine innenpolitische Bedeutung, denn erfolgreiche Gebietsforderungen des kleinen Sardinien-Piemonts hätten Signalwirkung auf andere nichtösterreichische Volksgruppen in der Donaumonarchie gehabt.

2.2 Die Rolle Karl Alberts von Sardinien für den italienischen Einigungskampf

„Der König von Sardinien ist der einzige materielle Halt der italienischen Bewegung. (...) Was auch die Geschicke Italiens sein mögen, so droht nach Beseitigung des sardinischen Feindes keine Gefahr mehr von dieser Seite. (...) Dieses [mächtige italienische König-] Reich ist dermalen aber nur mit der sardinischen Dynastie möglich, und Piemont auf das Minimum seiner Macht zurückzuführen, ist daher die Aufgabe, von deren Lösung die Zukunft Italiens und eines Teiles von Europa abhängt.“

In diesen Sätzen nennt Schwarzenberg die Ziele des Krieges gegen Piemont. Seiner Ansicht nach ist ein italienischer Gesamtstaat nur unter Führung Sardiniens möglich, also sei es das Ziel, „Piemont auf das Minimum seiner Macht zurückzuführen“. Der Ausspruch, daß der König von Sardinien „der einzige materielle Halt der italienischen Bewegung“ sei, ist jedoch noch genauer zu betrachten.
Es stimmt, daß die Einigkeitsbewegung in Italien im Jahre 1848 keine gesamtitalienischen Institutionen besaß oder schuf. Sie konnte sich zu diesem Zeitpukt noch nicht über einen Reichstag identifizieren wie die deutsche Bewegung mit der Paulskirche (eine italienische Nationalversammlung wurde erst im Januar 1849 in Rom gebildet, als Karl Albert seinen ersten Krieg schon verloren hatte und die Revolution in ihre republikanische Phase eingetreten war). So bildete „der nationale Befreiungskrieg (...) die Integrationsklammer der italienischen Revolution“,  und mit ihm mußte folglich auch der Führer des Krieges, König Karl Albert, zur Integrationsfigur des Kampfes aufsteigen.
Andererseits vernachlässigt Schwarzenberg zwei der drei verschiedenen Ausprägungen des italienischen Einheitsstrebens (Einigung Italiens unter sardinischer oder päpstlicher Führung oder als demokratische Republik), die Langewiesche so sehr in den Vordergrund stellt.  Er beschränkt die Erfolgsaussichten der Italiener auf die Konzeption der Monarchie unter dem Haus Savoyen. Zu diesem Zeitpunkt war die italienische Begeisterung für den Papst (Neoguelfismus) auch schon abgeflaut. Die Hoffnungen, die Pius IX. 1846/47 kurz nach seinem Amtsantritt mit Reformen geweckt hatte, machte er am 29. April 1848 zunichte, als er erklärte, daß er als Oberhaupt der katholischen Kirche nicht gegen eine katholische Macht Krieg führen könne und sich auf eine antinationale und konservative Politik festlegte. Die Nichtbeachtung der Demokraten ist wohl eher mit ihrer bis dato noch kleinen Rolle zu erklären; in dieser Phase der Revolution unterstützten sie auch teilweise Karl Albert, u.a. Mazzini.
 
Im Herbst 1848 weicht Schwarzenbergs Entschlossenheit zur vollständigen Unterdrückung und Niederhaltung Piemonts den innenpolitischen Notwendigkeiten, die Revolution im Innern zu bekämpfen. Am 9. Oktober 1848 hält sich Schwarzenberg während einer „heißen Phase“ der Wiener Revolution in der Hauptstadt auf (Kaiser Ferdinand I. war zwei Tage zuvor ein weiteres Mal aus Wien geflohen, diesmal in die Festung Olmütz). Er schreibt in einer Lagebeurteilung an den Kaiser „...wenn ein rascher Friedensschluß mit Sardinien, den ich für höchst unwahrscheinlich halte, unsere italienische Armee nicht verfügbar macht, so weiß ich wahrhaftig nicht, wo wir die Mittel finden sollen, um mit der Revolution fertig zu werden...“  Diese Worte waren wahrscheinlich in der Erregung der ersten unmittelbaren Berührung Schwarzenbergs mit den revolutionären Ereignissen in Wien geschrieben, zumal es nach Heller trotz des Waffenstillstands mit Sardinien nicht möglich war, österreichische Truppen aus Norditalien nach Österreich/Wien zu transferieren, um die dortige Überlegenheit nicht zu gefährden.  Dennoch sind sie kennzeichnend für Schwarzenbergs Sinneswandel, der unter Einfluß der innenpolitischen Realitäten, denen er hier zum ersten Mal in die Augen blicken mußte, zustandekam.

2.3 Die Rolle der anderen europäischen Mächte

„Wenn auch England die Bildung einer bedeutenden Macht in Italien als Gegengewicht gegen Frankreich wünschen muß, so haben Frankreich und besonders Österreich das größte Interesse, dem Entstehen eines mächtigen Königreiches Italien entgegenzuwirken.“
„Aus dem Gesagten ergibt sich umsomehr die Notwendigkeit, sich mit Frankreich zu verständigen und die Armee in Italien baldmöglichst in die Verfassung zu setzen, ihre große Aufgabe zum Heile der Monarchie ruhmvoll zu lösen.“

In der vorliegenden Quelle erwähnt Schwarzenberg aus dem Kreis der europäischen Großmächte Frankreich und England. Frankreich ist seinen Worten nach im Kampf gegen König Karl Albert ein Verbündeter Österreichs, da die Entstehung eines mächtigen Staates im Norden Italiens (also entweder ein norditalienisches Königreich unter der Führung des sardinischen Königs  oder auch ein gesamtitalienischer Nationalstaat) den Interessen beider Länder zuwiderlaufe. Man solle also versuchen, sich mit Frankreich über die Vorgehensweise in Norditalien abzustimmen. England hingegen würde die Bildung eines größeren italienischen Staatsgebildes gutheißen und begrüßen und sei deswegen als Gegner zu betrachten.
Schwarzenberg erklärt in der gleichen Rede etwas früher, daß „ein Krieg mit Frankreich (...) nach der Rückeroberung der Lombardei jedoch nicht zu besorgen“  sei, rückt auf diese Weise noch einmal die mögliche Verständigung mit Frankreich in den Vordergrund. Schwarzenberg fordert somit eine Änderung der Außenpolitik Österreichs, die bis zu diesem Zeitpunkt von der Gegnerschaft mit Frankreich und einer Verständigung mit England geleitet wurde.
Dies ist auch erwähnenswert hinsichtlich der Verhandlungen, die der vom österreichischen Ministerpräsidenten Freiherrn von Pillersdorf beauftragte Hofrat Hummelauer gerade zwei Wochen zuvor, am 9. Juni, mit dem britischen ersten Staatssekretär Lord Palmerston abgeschlossen hatte. In diesen Verhandlungen wurde England gebeten, in Italien vermittelnd einzugreifen .
Schwarzenbergs Vertrauen auf eine Verständigung mit Frankreich ist insofern interessant, als es völlig entgegengesetzt zu den Hoffnungen läuft, die die italienischen Demokraten auf ein Eingreifen Frankreichs auf Seiten Piemonts oder sogar zugunsten der demokratischen Regierung der Lombardei setzten.  Während der Gespräche eröffnete Lord Palmerston seinem Verhandlungspartner, „daß Frankreich beabsichtige, sich bei Fortdauer der Kämpfe in Oberitalien in den Konflikt einzumengen“.  Dies deckt sich mit den Hoffnungen der demokratisch gesinnten Italiener und steht im Gegensatz zu den Äußerungen Schwarzenbergs.
Doch dieser Gegensatz löst sich bei näherer Betrachtung auf. So ist die Unterscheidung der Italiener in sich wichtig: Zu Beginn des Krieges von Karl Albert gegen Österreich bot ihm Frankreich wiederholt Waffenhilfe an, doch dieser lehnte die Hilfe ab, aus Angst, der französische Einsatz würde republikanische Tendenzen in der italienischen Bewegung verstärken.  (s.o.) Wie erwähnt, deckten sich Karl Alberts Befürchtungen mit den Hoffnungen vieler italienischer Liberaler. Die Befürchtungen Karl Alberts entbehren übrigens nicht einer Grundlage. In einem Briefwechsel bekräftigen der französische Gesandte in Turin Bixio und der französische Außenminister Lamartine die Absicht Frankreichs, im Falle einer Revolution in Piemont die Revolutionäre zu unterstützen.
Denn in der französischen Regierung vollzog sich auch langsam ein Schwenk von Links nach Rechts, der am 23. - 26. Juni in der Pariser Junischlacht kumulierte. Am 24. Juni konnte man in Wien zwar noch nichts von den gleichzeitig in Paris stattfindenden Ereignissen wissen, doch die Junischlacht kam ja nicht einfach so aus heiterem Himmel. Sie war vielmehr der Höhepunkt einer Entwicklung, die schon früher ihren Anfang nahm. So bot der französische Botschafter De la Cour dem österreichischen Außenminister Wessenberg am 11. Juni 1848 französische Hilfe zur Vermeidung einer Vereinigung Sardiniens mit der Lombardei an,  und in einem Brief an Thom (zu diesem Zeitpunkt österreichischer Botschafter in Paris) bekräftigte Wessenberg seinen Eindruck der französischen Politik, es sei schwerlich anzunehmen, daß die französische Regierung jemals mit einer denkbaren Vergrößerung Sardiniens einverstanden wäre, ohne einen territorialen Ausgleich zu erhalten.

Feldmarschall Radetzky wurde angewiesen, Waffenstillstandsverhandlungen mit den Piemontesen aufzunehmen. Dieses (ZITAT) konnte er nicht mit seinen soldatischen Tugenden vereinbaren und schickte Fürst Schwarzenberg nach Wien, um den Ministerrat umzustimmen, zumal die Lombardei Anstalten machte, sich Piemont anzuschließen.
Nach Rudolf Kiszling erreichte Schwarzenberg mit seiner Rede vor dem Wiener Ministerrat am 24. Juni 1848 sein Ziel, die Minister von den guten Aussichten der Fortführung des Krieges und den Gefahren eines Waffenstillstands zu überzeugen. Waren sie vor Schwarzenbergs Rede noch von der Notwendigkeit eines Waffenstillstands überzeugt, so war danach keine Rede mehr davon.

In Schwarzenbergs Unterscheidung der verschiedenen Interessen Frankreichs und Englands sieht man auch einen Hinweis auf die Politik, die Schwarzenberg in den drei Jahren seiner Regierung als österreichischer Ministerpräsident zu führen versuchte: „...die Westmächte durch Ausnützung ihrer widerstrebenden maritimen Interessen gegeneinander auszubalancieren und dadurch für Mitteleuropa unschädlich zu machen.“

2.4 Erkenntniswert der Quelle

Schwarzenbergs Rede vor dem Ministerrat am 24. Juni 1848 darf in ihrer Bedeutung für die fortlaufende Politik nicht überbewertet werden. Sie bietet eine hervorragende Zusammenfassung der Beweggründe Österreichs für eine Fortführung des Krieges, war aber an sich wohl weit unbedeutender, als es Rudolf Kiszling in seiner Biographie „Schwarzenberg - der politische Lehrmeister Franz Josephs“ (aus der die Quelle ja entnommen ist) beschreibt.
Er schreibt, daß allein Schwarzenbergs Rede für den Kurswechsel verantwortlich war, nachdem vorher der Ministerrat noch von der Notwendigkeit eines Waffenstillstandes überzeugt war. Laut Kiszling „verfehlte [dieser Vortrag] seine Wirkung nicht“ und „vom Waffenstillstand wurde  nicht mehr gesprochen“.
In „The Italian Problem in European Diplomacy“ von A.J.P. Taylor hingegen wird Schwarzenberg im Zusammenhang mit der Ministerratssitzung vom 24.-26. Juni überhaupt nicht namentlich genannt. Taylor, dessen Buch sehr genau recherchiert und detailliert ausgearbeitet ist, erwähnt lediglich eine Botschaft von Radetzky, in der dieser einen Sieg über die Piemontesen verspricht, sollte er 25000 Mann Verstärkung erhalten. Dies wird ihm vom Kriegsminister Latour zugesichert.  Nach Taylor ist es Wessenberg, der erklärt, daß es für Österreich nur noch die Möglichkeiten gebe, entweder Piemont zu besiegen oder alle italienischen Besitzungen zu verlieren und so mit seinem Vortrag den Ministerrat überzeugte.
Es war natürlich Schwarzenberg, der Radetzkys Botschaft überbrachte; es soll hier nicht die Tatsache angezweifelt werden, daß sich Schwarzenberg am 24. Juni als Radetzkys Gesandter in Wien aufhielt und eine Rede vor dem Ministerrat hielt. Doch nicht Schwarzenbergs kluge Worte überzeugten den Ministerrat, sondern die Informationen, die er von Radetzky brachte, waren mitverantwortlich für den Entschluß des Ministerrats, einen Waffenstillstand mit Karl Albert nicht mehr in Erwägung zu ziehen. Neben Radetzkys Zusicherungen gab es noch ein ganzes Bündel an Gründen dafür.
Wie bereits erwähnt, hatte Wessenberg schon zwei Wochen zuvor in Gesprächen mit dem französischen Außenminister De la Cour die oberitalienischen Ziele der französischen Außenpolitik ausgelotet und kam in einem Brief  an Thom zu den gleichen Schlüssen wie Schwarzenberg in seiner Rede: daß Frankreich wohl kaum einer Vergrößerung Piemonts ohne weiteres zustimmen werde (s.o.).  Wahrscheinlich fühlte sich der Ministerrat auch durch Nachrichten aus Prag gestärkt, wo Fürst Windischgraetz in der Zeit vom 12. bis zum 16. Juni einen Aufstand blutig und erfolgreich unterdrückt hatte. Ein nicht zu unterschätzendes Moment für die Entscheidung des Ministerrates ist auch die öffentliche Meinung, die nach Berichten des englischen Gesandten in Wien sehr stark für eine Weiterführung des italienischen Krieges war. In einem Brief an Palmerston schreibt Magenis, „die öffentliche Meinung scheint mir so entschieden gegenüber der italienischen Frage zu stehen, daß ich denke, daß die Regierung, selbst wenn sie anderer Ansicht wäre, nicht in Opposition dazu handeln könne.“
Abschließend kann gesagt werden, daß Schwarzenbergs Rede als solche eine eher geringe Rolle bei der Entscheidungsfindung des Ministerrates spielte, als Dokument zur Auflistung der Gründe, die diesen zu seiner Entscheidung brachten, jedoch wertvoll ist.
 

3. Literatur- und Quellenverzeichnis


Quellen:

Hoor, Ernst: Erzherzog Johann von Österreich als Reichsverweser. Wien 1981
Lautemann, Wolfgang und Schlenke, Manfred: Geschichte in Quellen: Das bürgerliche Zeitalter 1815-1914. München 1980
Akten des Archive des Affaires Etrangères (A.A.E.), Paris
Akten des Haus-, Hof- und Staatsarchivs (H.H.St.A.), Wien
Akten des Public Record Office (P.R.O.), London

Literatur:

Corti, Egon Cesar Conte: Vom Kind zum Kaiser. Die Jugend Kaiser Franz Josephs I. Graz-Salzburg-Wien 1950
Heller, Eduard: Fürst Felix zu Schwarzenberg. Mitteleuropas Vorkämpfer. Wien 1933
Kiszling, Rudolf: Fürst Felix zu Schwarzenberg. Der politische Lehrmeister Kaiser Franz Josephs. Graz-Köln 1952
Kramer, Hans: Die Italiener unter der österreichisch-ungarischen Monarchie. Wien, München 1954
Kraus, Franz Xaver: Cavour (Weltgeschichte in Karakterblättern). Mainz 1902
Langewiesche, Dieter: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849. München 1993
Lill, Rudolf: Geschichte Italiens in der Neuzeit. Darmstadt 1988
Montanari, Mario: Die geistigen Grundlagen des Risorgimento. Köln-Opladen 1963
Piéri, Piero: Storia militare del Risorgimento. Turin 1962
Reuchlin, Herrmann: Geschichte Italiens. Leipzig 1859-1873
Riall, Lucy: The Italian Risorgimento. London 1994
Seidlmayer, Michael und Schieder, Theodor: Geschichte des italienischen Volkes und Staates (Die große Weltgeschichte Bd. 9). Leipzig 1940
Siemann, Wolfram: Die deutsche Revolution von 1848/49. Frankfurt am Main 1985
Stübler, Dietmar: Italien 1789 bis zur Gegenwart. Berlin 1987
Taylor, A.J.P.: The Italian Problem in European Diplomacy 1847-49. Manchester 1934
 


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