HS “Das europäische Königtum um 1200” (SoSe 2001)

Dozent: Dr. M. Prietzel

 

Essay “Die Herrschaft Heinrichs VI. – Höhepunkt staufischer Macht und Herrlichkeit?”

 

Die Regierung Kaiser Heinrichs VI. gilt trotz ihrer Kürze weithin als Höhepunkt staufischer Geschichte. Trifft dies zu? Oder überdehnte der Kaiser nicht vielmehr die Kräfte seines Reiches – mit Konsequenzen, die sich dann unter den Nachfolgern zeigten? Inwieweit sind bei einer Beurteilung seiner Herrschaft die wenig anziehenden Züge seiner Persönlichkeit zu berücksichtigen?

 

Die Wiederherstellung des alten Römischen Reiches schien unter Heinrich VI. (1191-97) in greifbare Nähe gerückt. Nach Niederschlagung der deutschen Fürstenopposition 1194 (Aussöhnung mit der Haus der Welfen unter Heinrich dem Löwen) und der Erringung der Herrschaft über Süditalien im gleichen Jahr entschloss sich Heinrich 1195 zum Kreuzzug, der seinen Machtbereich auch auf das östliche Mittelmeer ausweiten sollte. Vor dessen erfolgreicher Durchführung jedoch verstarb Heinrich, zu früh, um seinen Nachfolgern ein geordnetes Reich zu hinterlassen, das vorerst in inneren Querelen versank.

 

Zweifellos erreichte das Reich in der kurzen Regierungszeit Heinrichs VI. (1191-97) einen Zenit seiner Macht. In Norditalien herrschte nach dem von Heinrichs Vater Friedrich I. Barbarossa abgeschlossenen Vertrag mit den lombardischen Städten von 1183 (wenn auch zeitweise brüchiger) Frieden, ebenso zwischen den Reichsfürsten nördlich der Alpen, wo sich die Opposition gegen den Staufer mit Heinrich arrangieren musste, nachdem die Gefangennahme Richard Löwenherz sie ihres wichtigsten Partners und Geldgebers beraubte. 1194 eroberte Heinrich das Normannenreich in Süditalien und Sizilien, das ihm eigentlich schon per Erbschaft hätte 1189 zufallen sollen, da er mit Konstanze, einer Tochter Rogers II., vermählt war. Gleichzeitig huldigten Heinrich nun ein paar nordafrikanische Städte zwischen Tunis und Tripolis, die dem normannischen Königreich tributpflichtig waren. Fürst Leo von Armenien, dessen Reich bis dato ein Vasall von Byzanz gewesen war, ersuchte um die Verleihung einer Königskrone gegen Tributzahlungen, ebenso Zypern. Als Reaktion auf die drohende Einkreisung sah sich nun sogar das von inneren Querelen zerrissene Byzanz dazu veranlasst, dem westlichen Kaiser einen Tribut zu zahlen. Auch Polen, Dänemark und Ungarn standen zeitweise unter Einfluss der deutschen Herrscher, und so schien das Streben nach einer Lehenshoheit über alle abendländischen Reiche auch nur im Einklang mit der erstrebten universalen Stellung des Kaisers.   

 

Das staufische Selbstverständnis wurde Heinrich von frühester Jugend an vermittelt. Er wurde schon früh auf seine Rolle als Thronfolger vorbereitet, und schon 1169, im Alter von fünf Jahren, zum Mitkönig seines Vaters gewählt. Ab 1174, als er Barbarossa auf dessen 5. Italienzug begleitete, wurde er auch an der Politik seines Vaters beteiligt. Er wirkte bei der Vorbereitung und Organisation des Italienzugs mit und übernahm in der Folgezeit in zunehmendem Maße Aufgaben von seinem Vater.

 

Sicherlich verfehlten auch zwei Ereignisse ihre Wirkung auf Heinrich nicht: der Hoftag in Mainz 1184, als er und sein Bruder Friedrich (der jedoch 1191 auf dem ursprünglich von Barbarossa gestarteten Kreuzzug sterben sollte) Schwertleite und Ritterschlag empfingen, und seine Hochzeit mit Konstanze von Sizilien in Mailand 1186. Beide waren enorme Machtdemonstrationen der Staufer, die wichtigsten Fürsten waren zugegen und es kam, besonders bei der Hochzeit, zu einer Prunkentfaltung sondergleichen. Heinrich stand bei beiden Veranstaltungen im Mittelpunkt des Interesses, was ihn in der staufischen Selbstauffassung, dass seine Familie und damit er selber zum “dominium mundi” bestimmt sei, bestätigen musste.

 

Nicht von ungefähr war Heinrich auch nicht gerade für seine Frömmigkeit  bekannt. Er trat nie als Stifter oder Förderer aus religiösem Engagement in Erscheinung, und auch sein 1195 gefällter Entschluss zum Kreuzzug entsprang keineswegs einem christlichen Bewusstsein, sondern eher dem staufischen Sendungs- und Machtbewusstsein. Einerseits sollte die Kreuzzugsankündigung ein “Icebreaker” in den Beziehungen zum Papst sein, der sich seit der Erringung der normannischen Krone extrem reserviert gezeigt hatte. Nun sollten gute Voraussetzungen für Gespräche über den weiteren Status des normannischen Reiches, die Krönung Heinrichs Sohn Friedrich sowie die geplante Umwandlung des Wahlkaisertums in ein Erbkaisertum geschaffen werden. Andererseits folgte Heinrich dem Vorbild seines Vaters, der seinen Kreuzzug ja nicht zuendeführen konnte, und hatte den Reichtum des östlichen Mittelmeeres im Auge.

 

Auch vom Hofzeremoniell her entfalteten die Staufer einen Prunk, der ihre Macht aller Welt und sich selber zeigen sollte.  Noch von Friedrich Barbarossa organisiert war Heinrichs Schwertleite und Ritterschlag zum Pfingstfest des Jahres 1184, eingebettet in einen großen Hoftag bei Mainz. Die wichtigsten Fürsten des Reiches waren mit großem Gefolge anwesend, eine ungeheure Machtdemonstration für Verhältnisse nördliche der Alpen, es gab ein großes Turnier mit angeblich 20 000 Teilnehmern. Dies war gleichzeitig Ausdruck des staufischen Selbstverständnisses, wie es auch vermutlich eine Wirkung auf das Selbstverständnis des heranwachsenden Heinrich hatte, auf das weiter oben schon eingegangen wurde.

 

Im gleichen Kontext steht auch die Hochzeit Heinrichs, die 1186 in Mailand stattfand. Er ehelichte Konstanze, eine Tochter des Normannenkönigs Rogers II. , die später zur Erbin des sizilianischen Königreiches werden sollte. Auch dieses Fest war eine Machdemonstration, diesmal in mehr mediterranem Rahmen. Konstanzes Aussteuer verfehlte sicherlich auch ihren Eindruck nicht, Chronisten sprechen von hundertfünfzig Saumtieren, die den Brautschatz aus Gold, Silber, Edelsteinen und wertvollen Gewändern getragen haben sollen.

 

Als dritte und wohl wichtigste Machtdemonstration ist jedoch die Heimkehr Heinrichs nach der Erlangung der sizilianischen Krone zu sehen. Das Normannische Königreich war reich, und da es dort an einem Aufbewahrungsort für den zusammengetragenen Reichtum fehlte, brachte Heinrich die Wertsachen kurzerhand mit nach dem alten Reichsgebiet nördlich der Alpen, auch hier auf hundertfünfzig Saumtieren (wie bei der Aussteuer Konstanzes). Dort war man beeindruckt von Heinrichs triumphaler Heimkehr mit den sagenumwobenen Reichtümern des Mittelmeerraumes, die an den fast schon mythisch reichen Status Konstantinopels erinnerten.  

 

Die Frage nach der Überdehnung der Kräfte des Reiches zielt auf zwei der drei großen Pläne Heinrichs, die als solche zwar nicht explizit postuliert, jedoch im Sendungsbewusstsein der Staufer verankert waren. Der erste ist die Vereinigung des Normannenreiches in Sizilien mit dem Deutsch-Römischen Reich (unio regnio ad imperium), der zweite der Kreuzzug (zurückgehend auf das Vorbild Friedrich Barbarossas), der dritte die Umwandlung des deutschen Wahlkaisertums in ein Erbkaisertum.

 

Von den drei Plänen sind die ersten beiden zumindest ansatzweise vollendet worden. Heinrich VI. errang zwar die normannische Krone, hatte aber nicht genügend Zeit zur Konsolidierung seiner Herrschaft über Sizilien und das alte Reich. Zur weitestgehenden Vereinigung Siziliens mit dem Reich sollte es unter Heinrichs Sohn Friedrich II. (König 1212-1250) kommen. Dieser war in Palermo aufgewachsen und daher mehr Sizilianer als Deutscher. Schon früh hatte er dem Papst versprochen, Sizilien (als päpstliches Lehen) nicht mit dem Reich zu vereinigen, dennoch regierte er in Personalunion als König und Kaiser beide Länder. Seine Nachfolger konnten Reich und Sizilien nicht beieinander halten, und so fiel Sizilien 1265 an Karl von Anjou, 1282 an Peter III. von Aragon.

 

Die Durchführung des Kreuzzugs lag Mitte der 1190er Jahre für Heinrich in greifbarer Nähe. Die Rahmenbedingungen hierfür waren aufgrund ausreichender finanzieller Mittel (aus normannischen Reichtümern) und guter Stimmung zu den wichtigen Seemächten Pisa und Genua so günstig wie nie zuvor. Auch ließ sich Heinrich von seinem ersten Entschluss bis zum angepeilten Aufbruchsdatum genügend Zeit zur Vorbereitung. 1195 beschlossen, dauerte es zwei Jahre, bis sich die ersten Kontingente ins Heilige Land einschifften. Heinrichs Teilnahme verzögerte sich aufgrund eines Aufstandes in Sizilien, den er brutal niederschlug. Niur wenig später verstarb er jedoch malariageschwächt. Der Kreuzzug selber löste sich trotz anfänglicher Erfolge führungslos auf.

 

Auf zwei Reichstagen (1195/96) scheiterte auch Heinrichs Erbreichsplan, obwohl er den weltlichen Fürsten Erblichkeit ihrer Reichslehen auch in weiblicher und Nebenlinie, den geistlichen die Abkehr vom Spolienrecht angeboten hatte (nach dem nach dem Tod eines Kirchenfürsten seine bewegliche Habe an das Reich fiel). Interessanterweise markiert gerade der Tod Heinrichs 1197 und die Doppelwahl des Welfen Otto IV. und des Staufers Philipp von Schwaben (Heinrichs letzter verbliebener Bruder) für viele das Ende der Periode der alten volksrechtlichen Wahl nach Geblütsrecht, die nun von der freien Fürstenwahl verdrängt wird. Die Bemühungen Heinrichs um ein Erbreich wurden so vollkommen umgekehrt. HeinrichsH

 

 

Weiterhin zeigte sich, dass auch nördlich der Alpen die Ruhe extrem brüchig sein konnte. 1192 verhedderte sich Heinrich geradezu bei der Neubesetzung des Lütticher Bischofsstuhls in den Interessen der niederrheinischen Machthaber. Was eigentlich ein Schlichtungsspruch zwischen den rivalisierenden Regionalfürstenparteien sein sollte (der zugegebenermaßen Heinrichs Einfluss am Niederrhein erheblich gestärkt hätte), wuchs sich zu einer das Königtum ins wanken bringenden Staatsaffäre aus, als sich der Heinrich weniger nahe stehenden Partei immer mehr Fürsten anschlossen und schließlich deren Kandidat ermordet wurde, was man Heinrich anlastete. Der Wahl eines Gegenkönigs entging Heinrich nur durch die für ihn glückliche Fügung der Gefangennahme Richard Löwenherz’ durch Leopold von Österreich, was Heinrich eine in jedem Fall stechende Trumpfkarte in die Hände spielte, die Opposition ihres mächtigsten ausländischen Verbündeten und Geldgebers beraubte.

 

Insofern war es auch hier wieder eine gehörige Portion Glück, die Heinrich vor dem Verlust seiner Herrschaft bewahrte. Mit dem Kreuzzug und der damit vermutlich verbundenen Machterweiterung auf das östliche Mittelmeer – bei der Planung hatte Heinrich zwar in erster Linie das Heilige Land, bestimmt aber auch das Byzantinische Reich im Auge – ist es wahrscheinlich, dass die schiere Größe des Reiches und die damit notwendigerweise verbundene Abwesenheit des Herrschers in weiten Reichsteilen alte Konflikte in Deutschland, Norditalien und aber auch Sizilien wieder verschärfen würde.

 

Heinrichs Regierungszeit (1191-97) steht aufgrund ihrer Kürze naturgemäß im Schatten der seines großen Vaters Friedrich I. Barbarossa (1152-90) und seines großen Sohnes Friedrich II. (1212-50). Sie ist deswegen auch nicht einfacher zu beurteilen. Da es gemäß dem Spruch “dignitas non moritur” zwingend eine Kontinuität des staufischen Reichsgedankens von einem Kaiser zu seinem Nachfolger geben sollte, sollte die kurze Regierungszeit eines einzelnen nicht so groß ins Gewicht fallen. Im Falle Heinrichs ist das gilt der Spruch bedingt - die Doppelwahl von 1198 und die darauffolgenden Querelen ließen kaum Kontinuität in diesem Sinne zu. Die Erhebung von Heinrichs Sohn, Friedrich II. jedoch, brachte zumindest einige Kontinuitätselemente herein. Friedrich herrschte in Glanz und war ein angesehener Kaiser, jedoch hatte auch er Probleme mit Fürsten, Italienern und dem Papst, die sich nicht zufriedenstellend lösen ließen. Insofern scheint Heinrich die Kräfte des Reiches tatsächlich überdehnt zu haben.

 

Quellen: