Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät I, Institut für Geschichtswissenschaften
Dr. M. Prietzel
Proseminar „Karl III. und die Fränkischen Teilreiche“
Sommersemester 1997


Nachfolgepläne Karls III.

Inhaltsverzeichnis


0. Einleitung

1. Vorbemerkungen
1.1 Nachfolgeregelungen der Karolinger
1.2 Frühe Nachfolgepläne

2. Die Ausgangssituation 884
2.1 Arnulf von Kärnten
2.2 Bernhard
2.3 Ludwig von der Provence
2.4 Karl der Einfältige
2.5 Berengar

3. Chronologie
3.1 Die Ereignisse 885 (Bernhard)
3.2 Die Ereignisse 887 (Ludwig v. d. Provence)

4. Beurteilung

5. Literatur- und Quellenverzeichnis
 

0. Einleitung


Im folgenden werden die Pläne zur Nachfolge Karls III. im einzelnen näher beschrieben und nach dem aktuellen Wissenschaftsstand beurteilt. Hierbei liegt der Schwerpunkt vor allem bei zwei potentiellen Nachfolgern: Karls illegitimem Sohn Bernhard, dessen Erbrechte 885 festgeschrieben werden sollten sowie Ludwig von der Provence, dem Sohn Bosos von Vienne, der später den Beinamen "der Blinde" erhielt und den Karl 887 vermutlich adoptierte. Angrenzende Themen wie die Rolle weiterer potentieller Thronfolger (Arnulf, Karl der Einfältige) und frühere Nachfolgepläne (Karlmann 884) werden nur angeschnitten werden.

Bei den Betrachtungen zu den Nachfolgeplänen Karls III. wird zuerst die Ausgangssituation im Jahre 884 erörtert, dem Jahr, in dem das Karolingerreich unter der Hand Karls III. vereinigt wurde. Danach wird chronologisch im einzelnen vorgegangen, da die Ereignisse aufeinander aufbauen (z.B. ist die mit dem Tod Hadrians III. gescheiterte Nachfolge Bernhards von großem Einfluß auf die weiteren Pläne Karls III.).
 

1. Vorbemerkungen


1.1 Nachfolgeregelungen der Karolinger

Bevor einzeln auf mögliche Nachfolger eingegangen wird, müssen die Vorraussetzungen dafür untersucht werden. Hierbei sind es vor allem drei Punkte, die bei den Nachfolgeregelungen in der Karolingerdynastie auffallen: Erstens war im Gegensatz zu den uns geläufigen  Erbvorgängen des Hochmittelalters und der Neuzeit nicht der älteste Sohn Alleinerbe, sondern der Besitz eines verstorbenen Karolingers wurde unter seinen Söhnen aufgeteilt.
Zweitens besaßen Nachkommen aus der weiblichen Karolingerdeszenz im allgemeinen kein Erbrecht, denn mit der Heirat schied eine Frau aus ihrer Familie aus und trat in die Familie ihres Ehemannes ein.
Drittens besaßen illegitime Söhne keinerlei Erbrechte, solange es noch legitime Erben gab.

1.2 Frühe Nachfolgepläne

Karl III. hatte aus seiner Ehe mit Richgardis keine Kinder. Die Ursachen hierfür sind unklar.  Tatsache ist jedoch, daß man sich noch zu Lebzeiten anderer Karolinger Gedanken um die Nachfolge Karls machte. So schrieb im Jahre 879 Erzbischof Hinkmar von Reims an Hugo den Abt, „quantibus idem Karolis, quia filium non habebat, unum ex his regulis sibi adoptet in filium et sub manu boni ac strenui baiuli ad hoc eum nutrivi faciat.“  Karl sollte einen (evt. sogar beide) Söhne Ludwigs des Stammlers adoptieren, was er dann ja auch später tat (882 vermutliche Adoption, 883/884 gesicherte Adoption Karlmanns).  Durch den frühen Tod Ludwigs III. 882 und Karlmanns 884 waren diese Pläne jedoch zum Scheitern verurteilt.
 

2. Die Ausgangssituation 884


Nach dem Tod Karlmanns im Jahre 884 erbte Karl III. auch das Westreich und wurde damit im Alter von etwa 45 Jahren als letzter verbliebener legitim geborener Karolinger Herrscher über das gesamte Frankenreich. Gleichzeitig wurde die Nachfolgefrage des „seit längerem auch schon siechen“  Kaisers mangels direkter Erben akut, und es gab verschiedene Möglichkeiten, sie zu regeln (s. a. Abb. 1).
 

Karl der Große
 
 
Ludwig der Fromme

 

   1Lothar I. † 855   2Ludwig der Deutsche † 876  3Gisela ¥ Eberhard 3Karl der Kahle † 877
 

                Ludwig II. † 875      Karlmann † 880   Ludwig d. Jüng. † 882   Karl III.      Berengar I. Ludwig der Stammler † 879
    *

Boso v. Vienne ¥ Irmingard     Arnulf v. Kärnten                      Bernhard     1Ludwig III.  1Karlmann  2Karl d. Einfältige
        *850          *874                  † 882  † 884     *879

           Ludwig von der Provence *879
  (der Blinde)
 
 
 

Abb. 1: Die Lage 884: vereinfachter Stammbaum der für die Nachfolge Karls III. in Frage kommenden Karolinger, die mit kursiver Schrift hervorgehoben werden
 

2.1 Arnulf von Kärnten

Arnulf von Kärnten, ein unehelicher Sohn Karlmanns und damit Neffe Karls III., war der Älteste der Thronfolgekandidaten, nur etwa zehn Jahre jünger als sein kaiserlicher Onkel. Von seinem Vater schon früh mit Kärnten belehnt, vermochte er sich dort eine Machtbasis aufzubauen, die ihm auch nach dem Tod seines Vaters nicht mehr genommen werden konnte. Er galt als fähiger Feldherr und hatte, im Gegensatz zu allen anderen möglichen Erben Karls (außer vielleicht Berengar, zu diesem siehe aber weiter unten) schon das Mannesalter erreicht. Trotz seiner unehelichen Herkunft wurde er geachtet, was wohl auch daran lag, daß seine Mutter eine nobilissima femina  war, also von einer Herkunft, die „für die Braut eines karolingischen Prinzen absolut standesgemäß war“.  Karl III. war ihm jedoch ein „mißgünstiger Onkel“  und sah ihn eher als Rivalen denn als potentiellen Nachfolger.

2.2 Bernhard

Ganz anders verhielt es sich mit Bernhard, Karls eigenem unehelichen Sohn. Sein Geburtsdatum ist nicht genau überliefert, liegt aber wohl um 874.  Als etwa Zehnjähriger besaß er im Gegensatz zu Arnulf 884 keine eigene Hausmacht, des weiteren war seine Mutter vermutlich von niederem Stand.  Sein Vorteil gegenüber allen anderen Thronprätendenten war es, daß der amtierende Kaiser sein Vater war.

2.3 Ludwig von der Provence

Ludwig von der Provence, der später den Beinamen „der Blinde“ erhielt, war ein Nachkomme der weiblichen Karolingerdeszenz: seine Mutter Irmingard war eine Tochter Kaiser Ludwigs II. und mit Boso von Vienne verheiratet. Boso hatte sich nach dem Tod Ludwigs des Stammlers 879 zum König der Provence aufgeschwungen und konnte in den folgenden Jahren nie entscheidend geschlagen werden. Zeitlebens blieb er ein Feind der Karolinger, und erst nach seinem Tod im Januar 887 konnte sein Sohn in der Nachfolgefrage eine Rolle spielen.

2.4 Karl der Einfältige

Karl der Einfältige  war ein Sohn Ludwigs des Stammlers aus zweiter Ehe. Ursprünglich hatte Ludwig der Stammler im Vertrag von Fouron 878 ausdrücklich die Thronfolge der beiden Söhne aus erster Ehe „und weiterer, die Gottes Güte schenken werde“  festgesetzt, aber in das politischen Tauziehen der Mächtigen direkt nach seinem Tod wurde der posthum geborene Karl nicht einbezogen und damit trotz anderslautender Vorgaben des Vaters faktisch zum illegitimen Sohn. Ungünstig für ihn wirkte sich sein geringes Alter aus: 884 war er gerade fünf Jahre alt und damit noch weit vom handlungsfähigen Alter entfernt.

2.5 Berengar

Berengar war ein Sohn der Schwester Karls des Kahlen, also ebenfalls - wie Ludwig von der Provence - ein Nachkomme der weiblichen Karolingerdeszenz. Seine Mutter Gisela war mit Eberhard, dem Markgrafen von Friaul verheiratet, der in Italien ein mächtiger Provinzfürst war und dessen Nachfolger Berengar wurde.

Karl der Einfältige und Berengar spielten bei der Regelung der Nachfolge Karls III.  bei weitem keine so große Rolle wie Arnulf, Bernhard und Ludwig von der Provence. Dennoch besaßen sie von den verwandtschaftlichen Bindungen her ähnliche Thronfolgerechte wie die anderen drei, und so gehören auch sie  in den Kreis potentieller Nachfolger.
 

3. Chronologie


3.1 Die Ereignisse 885 (Bernhard)

Seinen eigenen illegitimen Sohn Bernhard als Nachfolger einzusetzen, war für Karl III. sicherlich die naheliegendste Möglichkeit der Nachfolgeregelung. Schon sein eigener Vater, Ludwig der Deutsche, war ja kein Kind aus der ersten Ehe Ludwigs des Frommen gewesen und trotzdem als Nachfolger akzeptiert worden. So schien der Versuch, den eigenen Sohn zum Erben zu bestimmen nicht ohne Erfolgsaussichten zu sein.

Doch unter den geistlichen Würdenträgern des Reiches regte sich Widerstand gegen die Thronfolge eines illegitimen Sohnes, dem Karl mit Amtsenthebungen begegnen wollte. Um Bernhard zusätzlich zu legitimieren, lud Karl III. im Herbst 885 den Papst Hadrian III. zu sich. Doch der Papst starb, noch bevor er die Alpen überqueren konnte, und Karl III. mußte seine Pläne mit Bernhard aufgeben, so berichten es die Fuldaer Annalen.

Der Tod Hadrians III. wurde gemeinhin als Gottesurteil angesehen, und beeinflußte wohl auch die folgenden Ereignisse entscheidend zuungunsten der Thronfolge eines unehelichen Karolingernachkommen. Ob das Gottesurteil nur im Hinblick auf Bernhard oder im Hinblick auf die Thronfolge eines unehelichen Sohnes allgemein gesehen werden kann, ist unklar; Tatsache ist, daß nach dem gescheiterten Versuch aus dem Spätsommer 885 zunächst nichts weiter unternommen wurde.

3.2 Die Ereignisse 887 (Ludwig von der Provence)

Im Jahre 887 änderte sich schlagartig die Situation: Boso v. Vienne, einer der größten Widersacher Karls III. starb im Januar.

Gleichzeitig verschlechterte sich die Gesundheitssituation Karls III., so daß in den ersten Monaten des Jahres ein Aderlaß notwendig wurde.  Die ungeregelte Nachfolgefrage rückte wieder drängender ins Blickfeld. Zugespitzt war die Lage durch ein weiteres Vordringen der Normannen und den Tod des Oberbefehlshabers der Streitkräfte Karls, Graf Heinrichs vom Grabfeldgau,  der 886 bei einem Entsatzversuch vor dem belagerten Paris getötet wurde.

Mit dem Tod Bosos eröffnete sich nun die weitere Möglichkeit der Thronfolgeregelung in Gestalt dessen Sohnes, Ludwig von der Provence. Auffällig großzügig verhielt sich der geschwächte Kaiser gegenüber der zuvor geschmähten Witwe Ludwigs II., Angilberga, die immer Boso unterstützt hatte und in besonderer Weise die lotharische Verwandtenlinie repräsentierte.  Er bestätigte im Februar 887 ihren Besitz des oberitalienischen Klosters Brescia,  was im Angesicht seiner  schlechten gesundheitlichen Verfassung als Zeichen besonderer Wertschätzung verstanden werden kann.  Ende März traf er sich auf einer Reichsversammlung in Waiblingen mit Berengar und auch Graf Odo von Paris, dem mächtigsten Provinzfürsten im Westen. Zu dieser Versammlung war eigentlich auch Papst Stephan V., der Nachfolger Hadrians III., geladen, doch dieser hatte es aus formalen Gründen abgelehnt zu erscheinen. Wahrscheinlich fürchtete er, Karl wolle erneut die Thronfolge seines eigenen Sohnes, Bernhards, festschreiben, und zog es vor, sich aus diesem „Strudel, der damals schon  [885] Verwirrung und Widerspruch gegen den Kaiser gebracht hatte“,  herauszuhalten.

Doch der Papst irrte, wie sich erweisen sollte: Ende Mai nahm Karl III. Ludwig von der Provence an Sohnes Statt an.  Die Adoption eines etwa sechsjährigen Knaben war ein „Affront gegen Arnulf“,  den dieser sich nicht bieten lassen wollte: Nachdem es einige Verwirrung durch die Entlassung seines bis dahin allmächtigen Erzkanzlers Liutward v. Vercelli und die Auflösung seiner 25jährigen Ehe mit Richgard gegeben hatte, Ereignisse, die „durch und durch rätselhaft und unheimlich“  erscheinen, kam es im November 887 zum Umsturz, bei dem Karl III. zugunsten Arnulfs entmachtet wurde. Wenig später, im Januar 888, starb Karl. Das Fränkische Reich spaltete sich nun endgültig in kleinere Teilreiche auf, und die unter Karl III. mächtig gewordenen Provinzfürsten wurden zu Königen: Odo im Westen, Berengar in Italien.
 

4. Beurteilung


Karl III. konnte seine Nachfolgepläne nicht verwirklichen. Sein Ziel, die Einheit des Reiches auch über seinen Tod hinaus zu retten, schlug fehl. Letztlich sind noch die Ereignisse im Jahre 887 relativ unklar.

Es gibt Historiker, die die Treffen Karls III. mit Berengar, Odo und Ludwig von der Provence im Frühjahr 887 anders deuten: Nicht als Versuch, die Einheit des Reiches unter Ludwig zu sichern, sondern als Dezentralisierung der Macht, die nach dem Tod Karls in eine Auflösung des zu groß gewordenen Frankenreiches führen sollte. Hierzu paßt auch die Adoption Ludwigs: Das Reich hätte dreigeteilt werden können: Im Westen Odo, im Süden Berengar, im Osten Ludwig. Odo und Berengar hatten sich in ihren Provinzen ja schon ihre Machtbasen geschaffen, einzig Ludwig galt es noch gegen den ungeliebten Neffen Arnulf von Kärnten fest einzusetzen, ein Akt, den auch Papst Stephan V. noch unterstützen sollte. Wollte Karl am Ende nur noch verhindern, daß nach seinem Tod das Reich vollkommen in Chaos versinkt? Sah er ein, daß sich die Reichsteile so verschieden fortentwickelt hatten, daß es fast unmöglich wäre, sie weiterhin unter einer Hand vereinigt zu halten? Wollte er den Grundstein für eine neue Ordnung legen?

Fragen, die noch einer Klärung bedürfen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch die Klärung der Rolle Liutwards von Vercelli, der überraschend 887 entlassen und durch Liutbert von Mainz ersetzt wurde. Letztlich ist es jedoch müßig, darüber zu philosophieren, denn das Ergebnis bleibt, ob es nun so geplant war oder nicht:

Nach Karls Absetzung und Tod zerfiel das Fränkische Reich endgültig.
 

5. Literatur- und Quellenverzeichnis


Dümmler, Ernst: Geschichte des Ostfränkischen Reiches 3  (21888)
Ewig, Eugen: Kaiser Lothars Urenkel, Ludwig von Vienne, der präsumtive Nachfolger Kaiser Karls III., in: Das Erste Jahrtausend 1, hg. v. V.H. Elbern (1962) S. 336-343
Fried, Johannes: Political History 817-911, in: Cambridge Medieval History 1 (1993)
Hlawitschka, Eduard (Hg.): Königswahl und Thronfolge in fränkisch-karolingischer Zeit, Darmstadt 1975
Hlawitschka, Eduard: Nachfolgeprojekte aus der Spätzeit Kaiser Karls III., in: DA 34 (1978), S. 19-50
Hlawitschka, Eduard: Die lotharische Blutslinie und der Sturz Karls III., in: Eduard Hlawitschka (Hg.): Königswahl und Thronfolge in fränkisch-karolingischer Zeit, Darmstadt 1975, S. 495-547
Kehr, Paul: Aus den letzten Tagen Karls III., DA 1 (1937) S. 138ff.
Keller, Hagen: Zum Sturz Karls III., in: DA 22 (1966) S. 333-384
Oesterle, H.-J.: Die sogenannte Kopfoperation Karls III. 887, in: AKG 61 (1979) S. 445-451
Riché, Pierre: Die Karolinger. Eine Familie formt Europa, Stuttgart2 1992
Schieffer, Rudolf: Die Karolinger, Stuttgart2 1997
Schieffer, Rudolf: Karl III. und Arnolf, in: Fs. E. Hlawitschka, Kallmünz 1993, S. 133-150
 


Bewertung:

Eine wirklich gute Arbeit! Ihr Ziel steht Ihnen klar vor Augen, Sie teilen es Ihrem Leser deutlich mit, und Sie führen Ihr Vorhaben konsequent durch.
Negative Anmerkungen gibt es nur zu Formalien. Ab und zu fehlen z.B. Belegstellen. Eigenartigerweise ist zudem Ihr Literaturverzeichnis tadellos, im Quellenverzeichnis hingegen fehlt manches. 2


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