PraktikumsberichtPraktikumseinrichtung: Nach der fast völligen Vernichtung des europäischen Judentums beschlossen
einige der führenden, zum Exil gezwungenen jüdischen Intellektuellen aus
Deutschland und Österreich, die verstreuten Reste ihrer zerstörten Kultur
zu retten und möglichst viel Material als Zeugnis der vielfältigen und wechselhaften
Geschichte zu sammeln und für künftige Generationen zu bewahren. Die Gründer
des Instituts, darunter Martin Buber, Max Grunewald, Hannah Arendt und Robert
Weltsch, ernannten die letzte repräsentative Figur des deutschen Judentums,
den Rabbiner Leo Baeck, zum ersten Präsidenten der neuen Einrichtung. Zu
seiner Ehre wurde das Institut nach ihm benannt, aber auch um den Idealen
der modernen, akkulturierten deutschen Juden Ausdruck zu verleihen. In den drei Hauptzentren der exilierten Gemeinden, London, Jerusalem
und New York, wurden Zweigstellen des Leo Baeck Instituts gegründet, mit
New York als Hauptsitz und Standort von Bibliothek und Archiv. Im September
2001 eröffnete das Leo Baeck Institut New York eine Dependance seines Archivs
im Jüdischen Museum Berlin, in der Mikrofilme fast des gesamten New Yorker
Bestandes zur Nutzung bereitgestellt werden. Damit wird zum ersten Mal diese
unvergleichbare Fülle von Materialien in Kontinentaleuropa zugänglich, eine
Entwicklung von großer praktischer wie symbolischer Bedeutung, gerade auch
angesichts der besonderen Rolle Berlins als Hauptstadt Deutschlands. Das Archiv des Leo Baeck Instituts besitzt die umfassendste Sammlung
von Materialien zur Geschichte der Juden in Deutschland, Österreich und anderen
deutschsprachigen Gebieten in Mitteleuropa während der letzten 300 Jahre.
Etwa eine Million Dokumente – Gemeindeakten, persönliche Unterlagen, Briefwechsel
sowie vielfältige Zeugnisse aus dem religiösen, sozialen, kulturellen, intellektuellen,
politischen und wirtschaftlichen Leben – dokumentieren das ganze Spektrum
deutsch-jüdischer Existenz. Auch die einmalige Sammlung von mehr als 1300
seit 1790 verfassten Memoiren bietet Einblick in alle Lebensbereiche deutschsprachiger
Jüdinnen und Juden. Geographisch ist das LBI im Center For Jewish History angesiedelt,
im Herzen Manhattans auf der 16. Straße nahe dem Union Square. Das Center
for Jewish History (http://www.cjh.org) wurde erst kürzlich eingerichtet
(Juni 2000) und vereint unter seinem Dach verschiedene kulturelle und historische
jüdische Organisationen, von denen das LBI nur eine ist. Außerdem finden
sich hier die American Jewish Historical Society (über jüdisches Leben auf
dem amerikanischen Kontinent), die American Sephardi Federation (über sephardisches
Leben in Amerika), das Yeshiva University Museum sowie das YIVO Institute
for Jewish Research (über jüdisches Leben in Osteuropa). Alle Institutionen
sollen demnächst ihre Bibliotheks- und Archivbestände in einem gemeinsamen
Katalog den Nutzern zur Verfügung stellen, bereits jetzt teilen sie sich
Leseraum und Handbibliothek. Weiterhin organisieren sie gemeinsam oder einzeln
kulturelle Veranstaltungen oder Ausstellungen in den dafür im Center for
Jewish History vorhandenen Räumlichkeiten. So ist das Center for Jewish History
eine Schnittstelle jüdischer Kultur in New York, die weltweit ihresgleichen
sucht. Als größtes der vier Leo Baeck Institute weltweit beschäftigt das
LBI New York auch am meisten Mitarbeiter. Von hier werden die Stränge zur
Expansion gezogen (wie kürzlich ins Berliner Jüdische Museum, wo die Nutzung
eines Großteils des New Yorker Archivbestandes auf Mikrofilm ermöglicht wird)
und auch Fundraising-Aktionen gestartet, da private Beiträge die inzwischen
stark gestiegenen Ausgaben des LBI nicht mehr decken können. Neben dem Verwaltungsapparat
teilt sich das LBI New York noch grob in vier weitere Teile: das Archiv (Ort
des Praktikums), die Bibliothek, die Kunstsammlung und die Austrian Heritage
Foundation. Da sie alle in einem Großraum-Büro angesiedelt sind, überschneiden
sich die Arbeiten ab und an auf professioneller wie persönlicher Ebene. Bibliothek
und Kunstsammlung haben jeweils 2 Mitarbeiterinnen. An der Austrian Heritage
Foundation arbeiten zwei österreichische Zivildienstleistende, sogenannte
„Gedenkdiener“, die Informationen über österreichische Juden sammeln, Fragebögen
verschicken und Zeitzeugen interviewen. Weiterhin hat das LBI noch eine Mitarbeiterin,
die sich um Genealogie-Anfragen kümmert, in dieser Richtung forscht und ihre
Ergebnisse im „Stammbaum“ herausgibt, einer Zeitschrift zu deutsch-jüdischer
Stammbaum-Forschung. Das Archiv hat drei hauptamtliche MitarbeiterInnen, die gleichberechtigt
den Betrieb der LBI-Archivs aufrecht erhalten. Sie teilen sich die verschiedenen
Aufgabenfelder, wie z.B. Pflege des Katalogs, Pflege der Mikrofilmsammlung,
Pflege des Webauftritts, Pflege der Fotosammlung etc. Daneben gibt es zeitweise
PraktikantInnen (bis zu drei gleichzeitig), für die sich immer Arbeit finden
lässt, sowie einige Volontäre auf regelmäßiger Basis. Die Volontäre sind
meist Zeitzeugen, teilweise unter abenteuerlichen Bedingungen aus Deutschland
geflüchtet, die mit ihrer freiwilligen Arbeit im Leo Baeck Institute viele
wichtige Aufgaben erfüllen: Eingabe in Kataloge, Ordnen von Fotos, Übersetzung
von Texten (oft jiddisch oder hebräisch) u.a. Die im Center for Jewish History angesiedelten Institute betreiben
gemeinsam einen Leseraum, in denen von jedem Institut einE MitarbeiterIn
interessierte NutzerInnen betreut. Die beiden Bibliothekarinnen und die drei
ArchivarInnen des LBI wechseln sich bei der Besetzung „ihres“ Platzes im
Leseraum ab. Das eigentliche Archiv, also der Raum, in dem die Dokumente gelagert
werden, befindet sich direkt neben dem Großraum-Büro. Die Tür ist elektronisch
verriegelt und nur mit einem Ausweis des Center for Jewish History (mit darin
verstecktem Chip) zu öffnen – wie übrigens fast alle im Center vorhandenen
Türen (auch die der Fahrstühle). Der Zugang war bis vor kurzem (Sommer 2001) noch allen MitarbeiterInnen
des LBI möglich, doch derzeit haben nur noch die ArchivarInnen sowie deren
PraktikantInnen uneingeschränkten Zugang. Alle anderen MitarbeiterInnen müssen
die von ihnen benötigten Dokumente wie normale Nutzer bestellen. Grund für
diese Entscheidung, die für einigen Unmut unter den MitarbeiterInnen gesorgt
hat, ist schlicht und einfach die mangelnde Sorgfalt, mit der Dokumente behandelt
wurden. Sie wurden falsch eingeordnet, gingen manchmal vollkommen verloren,
manchmal wurden sie unsachgemäß behandelt und zerstört. Um dies zu vermeiden,
war eine Zugangsrestriktion erforderlich. Der Archivraum ist fensterlos, da aus Platzgründen die Fenster mit
der (ebenfalls platzsparenden) Rollschrankkonstruktion verstellt worden sind.
Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden permanent überwacht und reguliert,
damit der Archivinhalt hierdurch keinen Schaden nimmt. Die Dokumente im Archiv selber sind grob gesehen in vier Kategorien
geordnet: Sammlungen, Memoiren, Monographien, Übergroße Dokumente. Übergroße Dokumente sind Dokumente wie Stammbäume, Urkunden etc.,
die physisch für die sonst etwas mehr als DinA4 (letter-) großen Schuber
oder Boxen zu groß sind und deswegen extra gelagert werden, gerollt oder
in übergroßen Schubern. Die Memoirensammlung ist wohl das Herzstück des LBI-Archivs: über
1300 Lebenserinnerungen, die bis 1790 zurückreichen, im Umfang variierend
von einigen Seiten bis zu Autobiographien in Bücherstärke. Die Memoiren,
die teilweise von bekannten Persönlichkeiten stammen, aber auch von „ganz
normalen“ Menschen des alltäglichen Lebens, sind schon immer beliebtes Objekt
von Veröffentlichungen des Leo Baeck Instituts gewesen und stellen eine einzigartige
Quelle deutsch-jüdischer Schicksale dar. Zu einem Viertel stammen sie von
Frauen. Die Sammlungen („Collection“) machen den bei weitem größten Teil
des Bestandes des LBI aus. Sie sind meist Nachlässe von Einzelpersonen oder
Familien, die unter dem Namen der Einzelperson oder Familie verzeichnet werden
(„Israel Family Collection“, oder auch „Leo Baeck Collection“). Dabei enthalten
Sammlungen die unterschiedlichsten Dokumente, Rechnungen, Briefe, Urkunden,
Quittungen, sonstige Schriftstücke... Fotos wurden aus den Sammlungen inzwischen
entfernt und gesondert archiviert – aus Konservierungs- wie Recherchegründen.
Sie sind den Nutzern nicht im Original, sondern in digitaler Form (eingescannt)
über ein Intranet im Lesesaal zugänglich. Eine weitere Sonderrolle im Archiv
nehmen audiovisuelle Medien ein, die ebenfalls gesondert gelagert werden. Nicht alle Dokumente sind den NutzerInnen uneingeschränkt zugänglich.
Von vielen Dokumenten lagern Duplikate in den Sammlungen, deren Herausgabe
denen der Originale natürlich vorgezogen wird. Weiterhin wurden bereits grosse
Teile des Archivs auf Mikrofilm archiviert – in der Berliner Außenstelle
des Leo Baeck Instituts z. B. liegen nur Mikrofilme zur Nutzung bereit. Die Notation der Sammlungen ist entsprechend ihrer Lagerung im vormaligen
Leo Baeck Institut. Sitz war damals eine Villa im Norden Manhattans, und
die Sammlungen wurden entsprechend ihres Aufbewahrungsortes in den früher
als Küche, Salon, Schlafzimmer genutzten Räumen mit Kennbuchstaben versehen.
Dies verleiht dem Katalog zwar eine sympathische Note, erleichtert die Orientierung
im heutigen zusammengeführten Katalog aber nicht. Zuerst bearbeitete ich die Eva-Berndt-Collection. Eva Berndt aus
Berlin beschäftigte sich in den vergangenen Jahrzehnten stark und beharrlich
mit der Judendarstellung in Martin Luthers Schriften und sammelte in dieser
Zeit umfangreiches Material. Aus Dank für die gute Zusammenarbeit vermachte
sie diese Sammlung dem Leo Baeck Institut, das ein solches Geschenk nicht
ablehnen konnte, auch wenn der Inhalt von Eva Berndts Wirken den eigentlichen
Themenbereich des LBI nur streift. Meine Tätigkeit bestand hier in der Einarbeitung
der Notizen Eva Berndts in den elektronischen Katalog, zumeist unter Beibehaltung
der von ihr vorgegebenen Ordnung (in Einzelfällen Straffung und Zusammenführung
sich überschneidender Ordnungselemente). Abschließend bleibt mir zu bemerken, dass das Praktikum im Leo Baeck
Institut in jeder Hinsicht als erfolgreich zu bewerten ist. Ich erhielt Einblicke
in die amerikanische Praxis einer Dokumentationseinrichtung, jedoch auch
unter deutschem Blickwinkel (Teile des Personals waren Deutsche und studierte
BibliothekswissenschaftlerInnen), einer Dokumentationseinrichtung mit großem
internationalem Prestige und für mich persönlich großer inhaltlicher Relevanz
für mein Hauptfach (Geschichte). Auch die Erfahrung, in New York einige Zeit
zu leben, ist unvergleichlich – das wäre es wohl auch ohne die Ereignisse
des 11. Septembers gewesen. |